"Kommse auch Box?"
Von Sabine Janssen
Wann sie kommen und wie viele, kann man nie vorhersagen. "Manchmal stehen sie Schlange, wenn ich aufschließe, und manchmal kommt in der ersten Stunde keiner", sagt Sozialpädagogin Jana Willinghöfer. Es ist 15.12 Uhr. Ohne großes Hallo kommt ein junger Mann in den Jugendtreff an der Leipziger Straße. "Hi" sagt er, lässt sich aufs Sofa unter die aufgemalten Palmen plumpsen und zückt sein Smartphone. "Es gefällt mir hier. Hier kann man chillen. Die bieten einem sogar etwas zu trinken an. Ich warte auf einen Freund", sagt er.
Für viele Jugendliche ist die "Box" eine Alternative zum Abhängen auf der Straße. In der offenen Jugendeinrichtung des Caritasverbands Moers-Xanten sind sie willkommen zum Chillen, Kickern, Quatschen. Nur wenn sie ausdrücklich fragen, gibt es Rat und Hilfe von Mathias Klaft-Turnau, Iulia Craciunescu und Jana Willinghöfer. Das sind die Drei von der Box. Seit einem Jahr gibt es den Treff mit der offenen Tür an der Leipziger Straße. Bis zu 40 Jugendliche kommen regelmäßig dorthin. Wenn sie sich verabreden, klingt das so: "Kommse auch Box?"
Ein zweiter Box-Besucher trudelt ein, lässt sich unter den Graffiti-Palmen von Javier Landa Blanco nieder. Er kramt einen Brief aus seiner Jackentasche, ein Behördenschreiben. Er zeigt es den beiden Sozialpädagoginnen der Box, und die wissen schnell, worum es geht: Vor kurzem gab es eine räuberische Erpressung in der Stadt. Mehrere Jugendliche waren daran beteiligt. Der Box-Besucher will wissen, ob er die verhängten Sozialstunden in dem Jugendtreff ableisten kann.
"Wir wissen, wer uns besuchen kommt", sagt Klaus Roosen, Leiter des Fachbereichs "Kinder, Jugend und Familie" beim Caritasverband Moers-Xanten. Der Jugendtreff befindet sich in den Moerser Stadtteilen Mattheck/ Josefsviertel, einem sogenannten Quartier mit besonderen Herausforderungen. "49 Nationen leben in der Mattheck. Der Wohnraum ist billig. Es gibt viele Transferleistungsempfänger", erklärt Roosen.
Die Jugendlichen dieser Viertel haben meist wenig Möglichkeiten, aber viele Probleme. Zuhause fühlen sie sich oft nicht willkommen. Auf der Straße lernen sie Dinge, die für die Zukunft nicht gut sind. Schule ist ein schwieriges Kapitel - beginnend mit fehlenden Deutschkenntnissen. "Aggressives Verhalten, sexualisierte Sprache, das haben sie gelernt", sagt Mathias Klaft-Turnau.
Wenn sie in der Box abhängen, sind sie nicht auf der Straße. Die Räume sind hell, sauber, fröhlich mit ihrer orange-grünen Graffiti-Kunst, gemütlich mit ihren Sitzecken und den Tischen. Es gibt ein Regal mit Gesellschaftsspielen, einen Kicker im Nebenraum, einen Sportraum mit Barren, Reck und Matten. Dort kann man boxen und Calisthenics trainieren. "Den Sportraum darf man nur ohne Schuhe betreten", sagt Iulia Craciunesco.
Das ist eine der Regeln in der Box. Weitere Regeln: Vor der Tür wird nicht geraucht (wegen der Anwohner). Wer zugedröhnt oder bekifft ist, bleibt draußen oder fliegt. Wer andere beleidigt oder handgreiflich wird, fliegt ebenfalls. Ende! Morgen gibt es dann eine neue Chance. Keiner von uns ist dauerhaft böse", erklärt Craciunesco. Auf diese Weise erfahren die Jugendlichen Verlässlichkeit.
Trotz ihrer Regeln habe die Box einen ganz anderen Stellenwert als die Schule. "Es ist ein anderer Umgang. Es gibt keine erhobenen Zeigefinger. Wir reden auf Augenhöhe mit den Jugendlichen, in deren Sprache", sagt Craciunescos Kollegin Willinghöfer.
Das Besondere an der Box sind auch die Angebote, die die Caritas-Jugendarbeiter mitbringen: Beatboxen, Breakdancen, BMX-Midnight-Sessions, Parkour, Capoeira, Calisthenics, im Sommer Stand-Up-Paddling. "Wir haben ein großes Netzwerk. Wir kennen viele Artisten und Sportler, die mit uns Workshops und Projekte machen", sagt Klaft-Turnau. In der Zeit, als sich die Eröffnung des Jugendtreffs verzögerte, habe man die Streetbox, einen Jugendtreff auf Rädern, geschaffen und Kontakte geknüpft. "Über diese Projekte erreichen wir noch mehr und auch andere Jugendliche. Bisweilen treffen die Jugendlichen der Mattheck auch auf die BMX-ler und die Beatboxer, und das ist gut so.